30.000 Schallplatten und Gramophon-Platten von 2.000 Künstlern: Der Laden „Jazz Dreams“ verspricht das breiteste Sortiment an erstklassigen Jazz-Scheiben in ganz Europa. Die Abendschau hat sich dort umgesehen – und vor allem umgehört.
Neben den klassischen Jazz-Größen finden Musik-Liebhaber hier auch seltene und ausgefallene Schätze. In der Hörlounge haben sie die Möglichkeit gleich mal rein zu hören. Hier ist es fast so gemütlich wie im eigenen Wohnzimmer und der Sound stimmt natürlich auch.
Am kommenden Sonntag wird es wahrscheinlich ziemlich voll in der Hörlounge – zum Tag der Offenen Tür gibt es Kaffee, selbstgemachte Cookies und jeder kann seine Lieblingsplatte mitbringen.
Beitrag von Sabrina N'Diaye
17.08.2015 11:16 Uhr
Von Tobias Wiethoff
Berlin gilt als Zentrum der Vinylkultur. Nach einschlägigen Geschäften muss man in den Szenevierteln von Friedrichshain, Kreuzberg oder Prenzlauer Berg nicht lange suchen. Was aber hat ein Plattenladen im beschaulichen Niederschönhausen verloren, noch dazu an einem unscheinbaren Standort auf der Schattenseite des Pastor-Niemöller-Platzes, eingerahmt von Lebensmitteldiscounter und Friseur? „Es kommen immer noch erstaunte Anwohner vorbei, die bisher keine Notiz von meinem Laden genommen haben“, räumt Inhaber Peter Durek ein.
Ohne diesen Standort würde es Dureks Geschäftsmodell allerdings wohl gar nicht geben. Eigentlich hatte der Wilmersdorfer in seinem Wohnumfeld nach Stauraum für seine riesige Plattensammlung gesucht. Dann stieß er auf die Immobilie in der Hermann-Hesse-Straße in Niederschönhausen und stellte fest, dass er zum Preis eines feuchten Kellers im Westen dort ein ganzes Ladenlokal mit 130 Quadratmetern Fläche auf zwei Stockwerken anmieten könnte. Kurzerhand disponierte er um, machte sein Hobby zum Hauptberuf und eröffnete „Jazz Dreams“. Dass dort das größte Jazzsortiment mindestens Berlins zu finden ist, wie Durek behauptet, erscheint angesichts von fast 37.000 Platten und ungezählten Regalmetern plausibel.
Und Schallplatten erleben eine wahre Renaissance. Als Anfang der achtziger Jahre die CD vorgestellt wurde, schien zwar ihr Ende besiegelt, doch inzwischen ist klar. Vinyl ist nicht tot, im Gegenteil. Gut drei Prozent des Gesamtumsatzes aus physischen und digitalen Musikverkäufen werden mit dem scheinbar altväterlichen Tonträger erzielt. Der Marktanteil ist nicht etwa rückläufig, er wächst „dynamisch“, wie es beim Bundesverband Musikindustrie heißt. Satte 33 Prozent betrug das Plus im ersten Halbjahr 2015, während die CD weiter Umsatz an den Downloadmarkt verlor.
Der 52-jährige Peter Durek entschied sich dennoch, es nicht beim üblichen Portfolio eines Plattenladens zu belassen. Das Abspielen einer Platte setzt zwingend den Besitz eines Plattenspielers voraus, doch wo gibt es den heute noch? Wer einen besaß, hat ihn meist irgendwann in den Keller verbannt oder ganz ausgemustert. In beiden Fällen kann Durek helfen: Er bietet nicht nur neue und gebrauchte Geräte zum Verkauf an, sondern auch einen Reparaturservice für vernachlässigte Veteranen. Und da der beste Plattenspieler nicht klingt, wenn Verstärker und Lautsprecher versagen, kann man bei ihm auch ausgesuchte Modelle dieser Komponenten erwerben – zu sozialverträglichen Preisen im meist dreistelligen Bereich.
„Jazz Dreams“ umfasst also drei Geschäfte in einem – Plattenladen, HiFi-Studio, Reparaturservice –, und das dürfte die berlinweite Einmaligkeit endgültig sichern.
Zwei Jahre liegt die Eröffnung nun zurück, und inzwischen kann sich Durek in seiner Einschätzung bestätigt fühlen, dass der Standort in seinem Gewerbe nicht die entscheidende Rolle spielt. Rund zwei Drittel seiner Kunden kommen aus anderen Teilen Berlins oder gar der Welt und sind zuvor im Internet auf die Adresse gestoßen. „Es gibt ein regelrechtes Plattenladen-Hopping“, weiß der gebürtige Westerwälder. Der reine Internetverkauf hält sich dagegen in Grenzen. Auch wer bereits im Onlineshop gestöbert hat, kommt gern persönlich vorbei, um sich von der Fülle des Angebots und beim Gespräch mit dem Ladeninhaber inspirieren zu lassen.
Wer sich darauf einlässt, erkennt schnell, dass Peter Durek Überzeugungstäter ist. Er weiß, was er liebt: den klassischen Jazz von Blues bis Boogie Woogie und die Art und Weise, wie er dank analoger Technik unverfälscht reproduziert werden kann. Aber Durek macht auch keinen Hehl aus seinen Abneigungen: „Alle laufen nur noch mit Knöpfen im Ohr durch die Gegend und lassen sich mit minderwertigem Klangschrott berieseln“, schimpft er. „Die geben 800 Euro für ein Smartphone aus, aber ein Plattenspieler soll bitteschön nur einen Bruchteil kosten.“ Genauso wenig freilich mag er Philister, die den Besitz einer teuren HiFi-Anlage als Statussymbol betrachten oder ihn mit Testergebnissen aus Fachzeitschriften traktieren.
Beiden Gruppen, sofern sie den Weg in seinen Laden finden, versucht Durek mit seiner Überzeugungskraft und der Macht des Faktischen beizukommen: Er setzt sie in seinen Hörraum, der wie ein durchschnittliches Wohnzimmer eingerichtet ist, und legt eine Schallplatte auf. Die meisten Kunden seien dann überrascht, was eine analoge HiFi-Kette zu überschaubaren Kosten leisten kann.
Ist die Liebe zu Vinyl also mehr als eine nostalgische Marotte, ein quasi-religiöser Spleen? Davon ist der 52-Jährige überzeugt: „Ich bin kein esoterischer Spinner.“ Die alte Technik sei den nachfolgenden klanglich überlegen. „Als Musiker, der selbst Klavier und Trompete spielt, weiß ich, wie sich Töne anhören müssen.“ Schon bei der Einführung der CD gab es kritische Stimmen, die einen kalten, aseptischen Klang der vermeintlichen Zukunftstechnik bemängelten. Inzwischen ist der allgemeine akustische Standard im Zeichen der Datenkomprimierung weiter gesunken, während Plattenspieler und Tonabnehmer weiterentwickelt wurden. Im Ergebnis klinge das analoge Gespann besser denn je, so Durek, brillanter und transparenter als in den achtziger Jahren.
Aber war da nicht noch etwas, was den Klanggenuss beim Plattenhören trüben konnte? Richtig, das Knistern. Auch diesem Problem, das in Jahren der Lagerung nicht besser wird, rückt Durek zu Leibe. Alle Platten, die seinen Laden verlassen, haben zuvor in einem sechsstufigen Verfahren eine gründliche Reinigung erfahren, einschließlich der Behandlung in einer professionellen Schallplattenwaschmaschine. Und wenn man zwar Vinyl, aber, was vorkommen kann, keinen Jazz mag? Auch für diesen Fall hat Durek vorgesorgt und sein Sortiment um Perlen der populären Musiksparte erweitert. Er selbst hört neben Jazz „leidenschaftlich gern“ Punkrock, Heavy Metal und Aufnahmen von „Queen“. Diese musikalische Bandbreite dürfte er ganz persönlich in Berlin ebenfalls exklusiv haben.
http://www.bz-berlin.de/berlin/stadtleben/bei-jazz-dreams-dreht-sich-alles-um-scheiben